Stammesdenken und Sufismus

Dr. Alireza Nurbakhsh

February 15, 2025

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Stammesdenken ist der Glaube, dass die eigene Kultur und die eigenen Werte überlegen sind, was zu Loyalität gegenüber dem eigenen Stamm auf Kosten von Außenseitern führt.  Dieser Instinkt hat evolutionäre Wurzeln, denn die frühen Menschen waren auf ihre Stämme angewiesen, um zu überleben.  Die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns, verstärkt diese Tendenz und macht uns von Natur aus vorsichtig gegenüber denjenigen, die anders erscheinen. 

Während Kultur diesen Instinkt entweder verstärken oder abschwächen kann, schürt Stammesdenken in der heutigen Welt oft Vorurteile, Diskriminierung und Konflikte. Religion kann sowohl trennend als auch verbindend wirken, indem sie entweder Spaltungen vertieft oder Harmonie begünstigt. Die Überwindung von Stammesdenken erfordert Achtsamkeit, Selbsterkenntnis und rationales Denken. 

Der Sufismus bietet einen Weg jenseits von stammesartigen Spaltungen. Anstelle starrer Glaubenssätze betont er das Einnehmen einer Haltung – er ermutigt zu Selbstverbesserung, Güte und spirituellem Wachstum. In seinem Kern steht die Erkenntnis, dass alle Menschen gleichwertig sind, da sie der gleichen göttlichen Quelle entstammen.

Zentral für den Sufismus ist das Prinzip des Einsseins: die gesamte Existenz ist eine Manifestation einer einzigen Realität. Wenn man diese Einheit erfährt, verschwinden die Trennungen zwischen „uns“ und „ihnen“ und es bleibt nur das Eine. Für diejenigen, die die Einheit verwirklichen, verblassen alle Unterschiede – es gibt kein „wir“ oder „sie“, sondern nur Einssein.

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