Jenseits von Glauben und Unglauben

Dr. Alireza Nurbakhsh

April 14, 2025

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Irgendwann im Leben halten wir manchmal inne, um über die tiefgründige Frage der Existenz nachzudenken. Ist das Universum die bewusste Schöpfung einer intelligenten Kraft, oder ist es ewig – nicht erschaffen und allein von Naturgesetzen bestimmt?

Keine der beiden Perspektiven bietet vollständige Klarheit. Aus religiöser Sicht könnte man fragen: Wenn Gott das Universum geschaffen hat, wer hat dann Gott geschaffen? Die übliche Antwort, dass Gott unerschaffen ist, fühlt sich oft an wie eine unbefriedigende Schlussfolgerung an. Warum wird dann nicht behauptet, dass das Universum selbst schon immer existiert hat?

Auf der anderen Seite ist die atheistische Sichtweise genauso wenig zufriedenstellend. Wie kann etwas ohne Ursache ins Dasein treten? Der menschliche Verstand tut sich schwer damit, eine Existenz ohne Ursprung zu akzeptieren. Wir verbleiben mit der uralten metaphysischen Frage: Warum gibt es etwas und nicht nichts?

Diese Fragen sind zwar uralt, aber weder der Glaube noch die Vernunft können befriedigende Antworten geben. Der Sufismus bietet einen anderen Weg - nicht durch Vernunft oder Doktrin, sondern durch direkte Erfahrung. Mystiker und Mystikerinnen haben seit langem erkannt, dass unsere Besessenheit von Glauben und Unglauben uns von der Essenz spiritueller Erfahrung trennt - nämlich von der Liebe. Religiöse Dogmen können das Herz verhärten, während der rationale Skeptizismus den Intellekt zum obersten Richter über die Wahrheit erheben kann. Beide können auf ihre Weise zum Schleier über unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit werden.

Um dem Göttlichen wirklich zu begegnen, muss man diese Dualität überwinden. Man muss das Bedürfnis überwinden, zu bejahen oder zu verneinen. Und in das Reich eintreten, in dem nur die Liebe wirklich ist.

Wie der große Sufi-Dichter 'Attar aus dem 12. Jahrhundert sagte:

Wenn dein Ziel die Liebe ist, dann lass Glauben und Unglauben los.
          Im Reich der Liebe ist für beides kein Platz.
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