Losgelöstheit: Eine spirituelle Perspektive

Dr. Alireza Nurbakhsh

May 12, 2025

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Anhaftung ist ein Zustand, in dem unser Identitätsbewusstsein sich mit dem Wunsch verstrickt, etwas zu besitzen - seien es Objekte, Ergebnisse, Überzeugungen, Errungenschaften oder Menschen. Dieses Anhaften fördert Abhängigkeit, zieht uns vom gegenwärtigen Moment weg und bindet uns an das Unbeständige.

Wir leben in einer Welt, in der alles flüchtig ist. Beziehungen entwickeln sich oder lösen sich auf, Besitztümer nutzen sich ab oder verschwinden, sogar unser eigenes Leben vergeht wie ein Schatten. Wenn wir uns an das Vergängliche ketten, säen wir die Saat des Leidens.

Viele mystische Traditionen sehen in der Anhaftung die Grundursache des Leidens. Der Sufismus greift diese Einsicht auf, fügt aber eine differenzierte Perspektive hinzu: Es ist nicht der Besitz selbst, der uns bindet, sondern die Unfähigkeit, sich von den Gedanken an und dem Verlangen nach dem Besitz zu befreien. Man kann die Annehmlichkeiten des Lebens genießen - ein Zuhause, einen Freund, einen Moment der Freude -, aber gleichzeitig innerlich frei bleiben. Wenn diese Annehmlichkeiten verschwinden, bleibt das Herz ruhig, denn sein Friede kommt nicht aus dem Äußeren, sondern aus dem Gedenken an das Ewige.

Wahre Losgelöstheit bedeutet nicht Entsagung von der Welt oder Gleichgültigkeit für die Menschen, die wir lieben. Vielmehr lädt sie uns zu einer tieferen, bewussteren Art des Seins ein - voll und ganz eingetaucht in das Leben und doch im Kern frei; in der Welt zu sein, aber das Sein nicht aus der Welt zu beziehen.

Auf dem Sufi-Pfad ist Losgelöstheit durch selbstlose Liebe möglich. Nur wenn das Herz vom Bedürfnis nach Besitz und Kontrolle befreit ist, wird es zum Spiegel des Göttlichen.

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