Der Verteiler des Nichts

Eines Tages begegnete der Mystiker Shibli (gest. 946) zwei Jungen, die sich auf einer staubigen Straße um eine einzige Walnuss stritten.

„Die gehört mir, du räudiger Hund!“, schrie der eine und schlug sie dem anderen aus der Hand.

„Ich habe sie zuerst gesehen!“


„Aber ich habe sie aufgehoben!“


„Hast du nicht!“


„Hab ich doch!“

Die Walnuss prallte auf den dreckigen Boden, die beiden Jungen hechteten ihr nach und stritten wie Feinde um etwas, das keiner von ihnen verdient hatte.

Shibli, der schweigend zusah, griff schließlich ein. Mit der Sanftheit eines Lehrers und der Bestimmtheit der Wahrheit nahm er die Walnuss und sagte:

„Warum streitet ihr? Seid ihr nicht Freunde? Gott hat euch nicht zusammengeführt, damit ihr wie Feinde aneinander geratet, sondern damit ihr Seite an Seite in Einträchtigkeit durchs Leben geht. Wenn es sein muss, dann teilt sie auf – jeder bekommt eine Hälfte. Ist das nicht besser als dieser Wahnsinn?“

Die Jungen schauten beschämt zu Boden. „Wartet“, sagte Shibli. „Ich werde sie für euch teilen.“

Er hob einen Stein auf und knackte die Schale...Nur um festzustellen, dass sie völlig leer war.

Keine Nuss war darin. Überhaupt nichts war da.

In diesem Moment hallte eine Stimme tief in ihm wider:


„Mach schon - teile. Verteile das Nichts. Bist du nicht der große Verteiler?“

Shibli fiel auf die Knie, überwältigt von Ehrfurcht und Kummer.


„All dieser Stolz... all dieses Kämpfen... um nichts. Und all diese Anmaßung, all diese Selbstgefälligkeit, um der Verteiler des Nichts zu sein.“